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Haftstrafe ohne gerichtlichen Schuldspruch – Justizminister stimmen für umstrittene Reform

Haftstrafe ohne gerichtlichen Schuldspruch – Justizminister stimmen für umstrittene Reform

Quelle: www.globallookpress.com © Paul Zinken/ dpa/ Global Look PressWachturm der Justizvollzugsanstalt Moabit (Symbolbild).

Um die Strafjustiz zu entlasten, sollen künftig mehr Verurteilungen ohne Gerichtsverhandlung möglich sein. Auch Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, sollen künftig per Strafbefehl verhängt werden können. Dafür haben sich die Justizminister der Länder auf Antrag des rheinland-pfälzischen Justizministers Norbert Mertin (FDP) auf ihrer 93. Herbstkonferenz (JUMIKO) in Berlin ausgesprochen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wird in dem Beschluss aufgefordert, einen entsprechenden Regelungsvorschlag mit dem Ziel einer Stärkung der Justiz vorzulegen, teilte das Ministerium in Mainz mit.

Sowohl bei Anwaltsverbänden als auch in der Ampelkoalition im Bund hatten die Vorschläge Kritik hervorgerufen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert diese Überlegungen aufgrund “der schweren Nachteile für Beschuldigte”. Bislang sieht der Paragraph 407 der Strafprozessordnung (StPO) Freiheitsstrafen von maximal einem Jahr vor.

Justizminister Herbert Mertin befand die von ihm “maßvoll” genannte Erweiterung des Strafbefehlsverfahrens für notwendig, da “die hohe Regelungsdichte des Strafverfahrensrechts sowie die zunehmende Komplexität gerade umfangreicher Strafverfahren” die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden immer häufiger vor große Herausforderungen stellten. Strafverfahren dauerten im Durchschnitt immer länger. Dazu kämen die Belastungen des pandemiebedingt eingeschränkten Geschäftsbetriebs der Gerichte.

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Wenn schon beim Abschluss der Ermittlungen besondere Umstände klar seien, die eine Bewährungsaussetzung rechtfertigten, sei “nur schwer erklärbar, warum nicht auch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten per Strafbefehl verhängt werden kann”, beklagte Mertin die Situation. Er erläuterte weiter:

“Durch die vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahrenssicherungen, wie die Einspruchsmöglichkeit des Beschuldigten, die Beiordnung eines Verteidigers bei der Verhängung von Freiheitsstrafen zur Bewährung und die richterliche Kontrolle des Strafbefehlsantrags dürften die Rechte des Beschuldigten auch ausreichend gewahrt werden.”

Zahlreiche Stimmen warnen jedoch davor, Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, künftig ohne Hauptverhandlung zu verhängen und ohne dass die Schuld des Beschuldigten feststeht. Denn ein Strafbefehl ist eine Verurteilung ohne Verhandlung. Ihr Zweck ist die einfache und schnelle Ahndung einfacherer Kriminalität, sogenannter Bagatellkriminalität. Mit dem Instrument können etwa Geldstrafen, die Entziehung der Fahrerlaubnis oder auch eine Bewährungsstrafe festgesetzt werden. Beim Strafbefehlsverfahren muss die Schuld des Beschuldigten nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen.

Der DAV hält eine Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren für zu weitreichend. “Darin läge eine Gefahr: Sollte es zeitnah zu weiteren Verurteilungen kommen, die die Bildung einer Gesamtstrafe zuließen, wäre die Bewährung plötzlich vom Tisch”, heißt es in einer Mitteilung. Auch ein Bewährungsverstoß könne zum Widerruf der Bewährung führen. “Beschuldigten droht damit unter Umständen eine beachtliche Haftstrafe, ohne [dass sie] je einen Gerichtssaal von innen gesehen … haben.” Abgesehen davon, dass Beschuldigten damit bis zu zwei Jahre Haft zur Bewährung ohne Hauptverhandlung drohen, bezweifeln Experten, dass die Justiz durch die Maßnahme entlastet wird.

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